Wir haben einen Schuldigen gefunden. Jagt ihn nicht aus dem Dorf - er hat eine Chance verdient.

Hättest du dir gedacht, dass so ein Winzling unser Leben in kürzester Zeit komplett auf den Kopf stellt? Was bisher Hollywood-Filme in Science Fiktion-Manier auf die Leinwand projizierten, ist vor einem Monat wahrhaftig in unseren Alltag getreten. Wie der Mixer einen Smoothie, hat Corona uns durcheinandergewirbelt. Aber ist alles schlechter geworden?

 

Mann mit weisser Maske und Kompass - Der Unbekannte hält unseren Alltag fest.
Der Unbekannte hält unseren Alltag fest.

Corona hat uns den Alltag zerstört

13. März 2020 - ein Freitagnachmittag. Bis an diesem Tag schien alles weit weg. Wie zuvor Ebola, Vogelgrippe oder Hunger trat COVID-19 bisher verschwommen auf, etwas das „die anderen“ betrifft. An diesem Nachmittag wurde es für uns real. Tage zuvor gemunkelt, plötzlich offiziell verkündet: Ausgangsbeschränkung. Der Bundesrat schliesst Geschäfte, Schulen, Läden und beschneidet uns in unseren Alltagsaktivitäten. Kein spontaner Städtetrip mehr, kein Restaurantbesuch. Mit Freunden am Feierabend einen Spritzer an der Seepromenade trinken - vergiss es.

 

Kinder werden ab sofort zuhause unterrichtet, dies schon eine Herausforderung für sich - vor allem wenn Mama das mit den Bruch-Rechnungen und Astral-Quadranten auch nicht mehr aus dem Nähkästchen zaubern kann. Google hilft nur bedingt, die Lehrer geben ihr Bestes mittels Hometeaching. Dazu mixe man die Eltern, die inmitten von Schulbüchern und Bastel-Aufgaben ihren Job im Homeoffice erledigen - das Chaos ist perfekt. 

 

Wir haben einen Schuldigen gefunden

Corona macht uns alles kaputt: Wir dürfen nicht mehr reisen oder Freunde treffen. Kein unbedarftes rumfahren, rumfliegen, Spass haben, uns tagelang mit Freizeitaktivitäten ablenken. Spielplätze sind gesperrt, ebenso Parks und sogar Berge werden eingeschränkt. Wir haben Zeit ohne Ende und können nirgendwo hin, um Sinnvolles zu machen. „Ich kann nicht mehr ins Fitnessstudio und werde fett“, „Die Kinder können nicht mehr mit Kameraden spielen und sind abends nicht mehr müde“, „Ich kann keine Freunde mehr treffen, und und und“. Corona ist an allem schuld. Das naheliegenste und jenes, das sich viele vorher gewünscht haben - mehr Zeit mit der Familie und mehr zuhause Sein - scheint ein gänzlich absurder Freizeitvertreib.

 

Ok, wer will schon bevormundet werden. Keiner bekommt gerne gesagt, was er tun, oder noch schlimmer, nicht tun darf. Wir schalten auf Trotzphase und trauern um die „gute, alte Zeit“. „Damals“ als uns die Welt mit weit geöffneten Armen empfing und wir jederzeit tun konnten was wir wollten. Jetzt ist alles unsicher, blöd und langweilig.

 

Ich bestreite nicht, dass es eine spezielle Zeit ist - die übrigens gerade einen Monat andauert (!vier Wochen), also im Vergleich zum kompletten Leben gar nichts. Und auch im Vergleich was andere Weltbewohner bereits seit Jahren durchleben (Hunger, Krankheiten, Krieg) - ein Klacks. Ich weiss, die eigenen Sorgen sind bekanntlich die schlimmsten. Deshalb werde ich über persönliche „Schicksale“ auch gar nicht lästern. Ich werte ich nicht ab, dass diese Zeit Kummer über Krankheit und Tod oder Ängste über Zukunft, Leben und Job mit sich bringt. Unsere Routine ist durchtrennt und wir werden aus den Bahnen geworfen, in denen wir uns sicher fühlen. Dass unser „Feind“ kein Gesicht hat und niemand sagen kann, wann es tatsächlich vorbei ist, macht es nicht einfacher. Aber mal ehrlich, ist tatsächlich alles blöd?

 

Die schönen Seiten der Pandemie

Alles Negative führt Positives mit sich. Statt uns zu bedauern, sollten wir auch auf die schönen Seiten dieser S(h)ituation sehen. Ja, du hörst richtig, ich sehe Schönes - und davon sehr viel.

 

Ich sehe, dass die Natur dankbar ist. Dankbar, dass wir innehalten und nicht länger unbedarft auf ihr herumtrampeln. An vielen Orten dieser Welt hat sie sich erholen und „reparieren“ können: In China gibt es Städte, die zum ersten Mal seit langem statt Smogwolke blauen Himmel sehen. Delphine tummeln sich wieder in den Häfen von Venedig und Genua und Wildschweine in den Strassen Spaniens. Und ist dir aufgefallen wie „laut“ die Natur ist? Vogel, Bienen, Enten, Grillen - alle sind dieses Jahr präsenter. In den letzten Jahren sind sie im Kampf gegen Zivilisationslärm wie Autos, Flugzeuge und schnatternde Menschengruppen untergegangen - jetzt zwitschern, zirpen und schnattern sie konkurrenzlos.

 

Ich sehe auch, dass Menschen sich untereinander helfen. Wir sorgen uns wieder um die ältere Generation - Junge gehen für alte Menschen einkaufen und fragen regelmässig wie es ihnen geht. Das war  früher, also sehr viel früher, auch so - wann haben wir unseren Generationensinn verloren?

 

Viele Menschen legen schlechte Angewohnheiten wie Hass, Neid und Egoismus zur Seite und ersetzen diese durch Hilfsbereitschaft, Solidarität und Freundlichkeit. Studenten helfen Bauern ihre Ernte einzuholen, Freiwillige helfen in den Spitälern aus und viele Freizeit- und Weiterbildungsangebote kannst du kostenlos übers Internet beziehen. Solidarität steht über Kommerz. Schön, wenn das bleiben würde.

 

Die Generationen wachsen wieder näher zusammen: Eltern kümmern sich wieder intensiver um den Alltag ihrer Kinder und Grosseltern werden nicht mehr nur als kostenloser Kinderhütedienst benutzt. Dass die Kinder mit den Lernmethoden der Eltern nicht immer protestlos einverstanden sind, ist klar. Es ist für beide Seiten eine intensive Bildungserfahrung. Konflikte werden aber schnell vergessen, denn Papa ist nun beim Abendessen dabei oder hilft Nachmittags beim Basteln.

 

Weinbergschnecke auf nasser Strasse - alles wird langsamer
Es darf auch mal langsamer gehen. (Photo: eigene Aufnahme)

Privilegien in den Fokus rücken

Wir in der Schweiz sind privilegiert unser Leben selbstbestimmt gestalten zu können. Wir leben in einem Staat, der uns weder verbietet unsere Ansichten zu äussern noch uns frei zu bewegen. Dieser Wert gehört in unseren Fokus gerückt - auch dann, wenn wir aus den Mauern des staatlich verordneten und vor allem begrenzten Hausarrests wieder ausbrechen.

 

Und vergessen wir nicht: wir, zumindest in der Schweiz, haben keine Ausgangssperre. Wir dürfen spazieren, wandern, die Sonne geniessen, ein Picknick machen, sportlich sein. Zwar alles im Mass und mit nötigem Abstand, aber wir dürfen.

 

Es ist in Ordnung wegen der stornierten Ferien zu trauern, sich über den veränderten Alltag zu ärgern oder über die anderen, die sich nicht an die Regeln halten, zu schimpfen. Aber dann ist auch mal gut.

 

Vergrabe unter dem Frust nicht das Positive. Abgesehen von Krankheit und Tod - dem die Menschheit auch nach Tötung des Virus-Drachen weiterhin gegenübersteht - haben wir tolle Geschenke erhalten: Zeit, Besinnung und Menschlichkeit. Der gesichtslose Virus-Wicht zeigt uns schöne Seiten, man muss sie nur erkennen und ihnen eine Chance geben. 

 

 

 

Mehr Zeit mit dem Partner, ein altes Hobby wieder aufleben lassen, endlich das Chaos im Büro aufgeräumt?

Welche positiven Aspekte hat Corona für dich gebracht?

 

(c) Beitragsbild │ Ahmed Zayan  │ Unsplash

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