«Das mache ich, später / wenn ich pensioniert bin / im nächsten Leben» - wie
oft brauchst du diese Floskel, um dich vor etwas zu drücken? Fehlende Zeit - gern missbrauchte Ausrede von Schlendrians, Angsthasen und Drückebergern.
Gehörst du zur Sorte Aufschieber? Jemand, der Dinge auf die lange Bank schiebt und erst erledigt, wenn er Zeit hat?
· Ich räume mein Büro auf - wenn ich Zeit habe.
· Ich rufe meine Schwie(ri)germutter an - wenn ich Zeit habe.
· Ich mache ein Fotobuch von meinen letzten Ferien - wenn ich Zeit habe.
· Ich wasche die Wäsche, beginne zu Joggen, rede mit der betagten Nachbarin, schreibe meiner Schulfreundin, lerne eine Sprache, übe den Spagat - jajaja, wenn ich Zeit habe.
Wir bekommen Zeit geschenkt
Mit dem C-Virus springen wir täglich über unbekannte Hürden. Viele rotieren zwischen Homeoffice, Homeschooling, Homebetreuung, Home hier und Home da. Ohne Frage, für viele ändert sich jetzt einiges im Leben: Wir laufen am Anschlag oder langweilen uns – sinnsuchend und hoffend, dass bald alles wieder normal wird. Was aber ist normal? Und wollen wir tatsächlich dahin zurück?
Während wir der guten, alten Zeit nachtrauern – in der, bei genauem Hinsehen, auch nicht alles mit rosaroten Schaumbällchen ausgekleidet war, ist nicht zu vergessen, was positiv aus der letzten Zeit hervorging. Für mich einer der grössten Gewinne: Zeit.
· Wir fahren Kinder nicht mehr zu Freizeit-Aktivitäten.
· Wir haben nur noch einen Fünf-Schritte-Arbeitsweg vom Schlafzimmer ins Home-Büro.
· Wir dürfen zuhause bleiben. Keine Partys - wir verpassen nichts.
· Zeiträuber-Ausreden, wie «wir sind in den Ferien», «anderswo eingeladen» oder «ich habe eine Firma-Abend-Anlass» fallen ebenso weg.
Grundsätzlich resultiert für viele ein Zeit-Gewinn. Zeit, die wir sinnvoll einsetzen können, zum Beispiel für unsere «Später-Projekte».
Zeit ist nicht das Problem
Ich denke, dass wir alle wichtiges gerne vor uns herschieben - lieber ziehen wir banales vor: «Ich kann, das noch nicht machen, ich muss zuerst das erledigen». Warum wir so agieren? Rein spekulativ: weil es einfacher ist. Banales tun wir schon seit Jahren und kennen uns dabei aus. Wir haben weniger Angst es nicht gut umzusetzen.
Ganz ehrlich, auch ich bin zurzeit nicht so produktiv, wie ich mir das vorstelle. Mehr Sport? Vergiss es. Meine Webseite an den Start bringen? Fehlanzeige. Das Video von den letzten Ferien
schneiden? Keine Chance.
Stattdessen hüpfe ich von einer Aktivität zu nächsten, ohne roten Faden oder sichtlichem Ende einer meiner der Wichtigkeiten.
Warum bekomme ich auch mit mehr Zeit meine Brote nicht gebacken? – Darüber habe ich ernsthaft nachgedacht.
Meine sechs persönlichen Umsetzungsstolpersteine
1. Zu wenig Interesse
Wenn ich vorher keinen Bock auf Sport hatte, weshalb soll das sich mit mehr Zeit ändern? Die Bikini-Figur-Verfechter locken wie jedes Jahr und mein, in die Jahre kommender Körper, könnte etwas mehr Spannung vertragen. Aber das Interesse dafür versteckt sich gemeinsam irgendwo mit meiner Motivation. Wenigstens die zwei haben sich gefunden. Den Jogging-Anzug trage ich aber regelmässig: im Homeoffice - bei Video-Konferenzen immerhin mit einem Blazer darüber.
Schluss damit! Ich überlege mir ernsthaft, ob Dinge, für die ich keine Motivation aufbringe auch tatsächlich wichtig sind. Wären sie mir wichtig, würden sie sich nicht so krampfhaft verstecken und die Muse hätte mich schon längst wachgeküsst. Es sind sinnlose Pendenzen, die belasten - Ich streiche sie von meiner Prioritäten-Liste. Scheinbar sind sie mir nicht wichtig genug. Deshalb haben sie es nicht verdient, meine Produktivität zu blockieren.
2. Zu viel Interesse
Ich bin wahnsinnig interessiert - in zu viele Dinge. Ich lasse mich leicht ablenken. Meine Scanner-Persönlichkeit macht mein Leben spannend und vielfältig, sie steht mir aber oft im Weg. Ich habe wahnsinnig viele Wörter im Kopf für Texte, plane neue Kunstwerke, möchte basteln, wandern und neues Wissen generieren. Ständig fliessen mir neue Ideen in den Kopf oder in die Finger - ein Strudel aus Inspirationen, der sich dreht und dreht und dreht.
Beim Lesen finde ich interessante Themen, die ich weiterrecherchiere. Im World Wide Web werde ich von einem Artikel zur nächsten gehangelt. Ich verbringen Stunden mit Recherche und Wissenstransfer. Schönwetter - ich möchte die Zeit in der Natur verbringen. Schlechtwetter und ich kuschle mich bei Lieblingsserien auf der Couch ein - während ich im nächsten Moment einen Kuchen backe, die Bienen im Insektenhotel beobachte oder Nachrichten schreibe. Ich interessiere mich für vieles und verliere dadurch gerne mal den Fokus auf Das eine Projekt. Ich beginne und im nächsten Moment bin ich schon ganz woanders. Mal überlegen, was kann ich dagegen nur machen? Oh, ein Schmetterling...
3. Energieräuber
Ich habe ein eindeutiges Helfersyndrom. Ich bin gerne für andere da, stehe zu Diensten, höre zu - Everybodys Darling. Gefragt oder ungefragt. Meine Bedürfnisse, Erwartungen und Gefühle stehen dabei vielfach hinten an - und meine Projekte.
Obwohl mein Tisch bis unter die Decke gefüllt ist, für einen guten Menschen springe ich gerne. Sag nicht dass ich springen soll, sondern wie hoch - in diesem Moment macht es mir keine Mühe. Die kommt erst, wenn meine Aufgaben-Liste am Abend häkchenlos vor mir liegt.
Auch wenn es mir im Helfer-Herz weh tut, ich muss lernen nein zu sagen. Ein kleines Wort, das mir mehr Freiheit und Zeit für meine Projekte bringt. Keine Angst, ich werde nicht zum Super-Egomanen, aber vielleicht ein bisschen selbstverliebter. Jemand der seine Werte, nicht für die der anderen einbüsst.
4. Die Menge erschlägt – zu viel ist zu viel
Mein digitales Chaos auf dem Computer ist nicht nur ein ästhetischer Graus, es blockiert auch meine Festplatte - die leuchtet schon seit geraumer Zeit dunkelrot. Dennoch, die Flut an Dokumenten, drei- und vierfach gleichen Bildern und Videos erschlägt mich.
Die Aufräumaktion schreit wie ein Baby mit nasser Windel - aber ich finde den Startknopf nicht. Einfach mal alle Ordner durchforsten? Radikal
alle doppelten Bilder löschen? Es ist nicht die Aufgabe, die mich blockiert, es ist der Umfang. Viel zu viele Daten, die viel zu viel Zeit auf einmal beanspruchen.
Ich bremse mich - ich muss nicht alles auf einmal machen. Kleine Dosen bringen ebenfalls Erfolg und schlussendlich steht ja keine Deadline hinten dran. Einfache Abhilfe schafft ein Strecken-Plan: Von A wie Ausflüge bis F wie Fasnacht und im nächsten Schritt sortiere ich F wie Ferien bis G wie Geburtstage. Scheint ein gutes Konzept, einfach umzusetzen.
5. Perfektionismus – ein Zeiträuber
Mein «perfekt-sein-wollen» wirft mir ständig Steine in die Radspeichen. Gut ist nicht gut genug - es muss zu 100 Prozent perfekt sein.
Das Pareto-Prinzip ist mir geläufig, die Umsetzung fällt mir jedoch schwer. 80 Prozent umsetzen und den Rest durchschlüpfen lassen, scheint mir nicht sympathisch.
Ich habe noch nie eine Webseite von A bis Z geplant und aufgesetzt. Es gibt so viele Kriterien, die ich beachten soll. Je mehr Tutorials und Experten ich konsultiere, desto verwirrter werde ich. Was ich da alles falsch machen kann. Und anstatt dass ich beginne - ein Projekt, dass ich jederzeit anpassen kann - vergrabe ich mich lieber in der Vorbereitung. Ich lese, schaue, rede und bin schon die vollendete Webseiten-Expertin - theoretisch.
Was kann schon passieren, wenn die Seite nicht perfekt ist? Die Welt wird sich weiterdrehen. Lieber anfangen und ausbessern. Korrekturen kommen von selbst, sobald ich anfange, es einfach zu TUN.
6. Angst, die lähmt und Chancen bringt
Ich probiere gerne neues aus, aber nicht jedes Mal ohne mulmiges Gefühl in der Bauchgegend. Wie wird es sein? Kommt das gut? Was wenn ich versage? Oft denke ich, dass ich viel mehr machen kann. Ich sehe andere und bewundere ihren Mut, die Welt zu verändern und für ihre Überzeugung einzustehen. Und ich hab Angst - vor Veränderung, vor dem Versagen, vor dem was andere sagen oder denken.
Ich muss lernen, trotz der Unsicherheit zu handeln, denn nur so kann ich auch vorwärts kommen. Angst ist ein Zeichen, dass ich mich entwickle und meinen Träumen eine Chance gebe - dafür lohnt es sich doch Angst zu haben. Oder etwa nicht?
Ich muss ja nicht gleich von heute auf Morgen alles neu machen. Veränderung in kleinen Dosen - Schritt für Schritt. Und plötzlich renne ich durch das Ziel und frage mich: «Warum hast du das nicht schon viel früher gemacht?».
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So, die bösen Buben sind identifiziert und überführt. Schön, könnte ich sie alle in ein dunkles Verlies verbannen und den Schlüssel für immer vergraben. Das wird heute noch nicht sein, auch nicht morgen. Aber mit dem Wissen um sie, bin ich ein Stück weiter und kann mich ihrer bewusst machen - bei jedem Mal «Das mache ich, wenn ich Zeit habe» klopfe ich mir selbst auf die Finger und frage mich «Ist fehlende Zeit wirklich das Problem?».
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