Schweiz, 27. April – ein normaler Montagmorgen. Bis …
Ich erkenne, dass ich seit zwei Wochen Ferien habe. Ich stehe zwischen zwei Jobs (wobei der Anschluss-Job noch nicht vorhanden ist – das am Rande bemerkt) und ziehe gerade Restferien ein. Somit muss ich weder in meine Geschäftsmails gucken oder Skype-Sessions beiwohnen. Grundsätzlich nicht viel mehr zu tun, als mich zu erholen. Diese Erkenntnis hat mich heute Morgen beim ersten müden Aufklappen der Augenlider wie ein Blitz getroffen, weshalb ich beschliesse im Bett eine Extrarunde zu drehen.
In diesem Moment war ich um einiges weniger motiviert (aber ziemlich sicher schlauer) als andere Menschen in der Schweiz. Seit den Morgenstunden bilden sich lange Schlangen vor Gebäuden, die bis vor kurzem noch geschlossen waren. Da könnte einer denken, Justin Bieber (oder Roger Whitaker - für die älteren unter euch) gibt gleich ein Konzert. Bei genauerem Hinsehen aber, stehen dort keine kreischenden Teenager-Girlies, die sich im Absperrband-Parcours durchschlängeln, sondern mit Spitzhacke und grossem Einkaufswagen bewaffnete Bauwütige und Hobby-Gärtner. Erlösung, heute gehen die Baumärkte wieder auf - endlich neue Projekte, die das Zuhause-sein spannend machen.
Mir doch egal, ich habe Ferien
Nachdem ich zwei Stunden in meinem Himmel(ischen)-Bett verdöst habe, fühle ich mich fit für alles was kommen mag. Das vorhergesagte Regenwetter blieb aus, weshalb ich mich mit Kaffee und Laptop auf den Balkon verpflanze. Der Tag könnte schlechter beginnen.
Ich fühle mich grossartig - so fühlen sich digitale Nomaden, stelle ich mir vor. Warum nicht eine solche Karriere einschlagen? Ortsunabhängig arbeiten, mit der Sonne im Gesicht, Cocktail nebendran - klingt verlockend. Die erste Hürde erkenne ich postwendend. Die Sonne scheint zwar wunderbar auf meine Haut, lässt aber den Bildschirm duster werden. Nach einer halben Stunde gebe ich das Vorhaben „mobiles Büro“ auf, da die zusammengekniffenen Augen leichten Kopfschmerz hervorrufen. Auch gut – immerhin habe ich Ferien. Ebenfalls gut, dass ich aufstehe, um mir einen Kaffee-Refill zu genehmigen. So merke ich, dass Sonnencreme eine nicht unerhebliche gute Idee gewesen wäre - mein linker Oberarm sowie mein Fuss der gleichen Seite, leuchten bereits schweinchenrosa.
Wie erkannt, muss ich nicht arbeiten und kann mir einen Relax-Tag gönnen. Warum also nicht ein bisschen Sonne tanken? Mit Sonnencreme, versteht sich. Somit liege ich kurze Zeit später auf dem Liegestuhl. Im gestreiften Bikini, bewaffnet mit Sonnenbrille, Wasser und Tratsch-Magazin. Ich fühle mich wie am Strand von Sansibar. Zumindest lässt der Kokos-Duft der Sonnencreme das erahnen. Während ich wie eine Öl-Sardine im eigenen Saft schmore, döse ich leicht ein.
Tüütaa, tüüü-taaaa! Ich werde unsanft geweckt. Der Nachbars-Junge erkennt, dass er seine Polizeisirene, die er bis zu diesem Tag schreienderweise nachgeäfft hat, auch auf der Blockflöte imitieren kann. Während er mit dem Bobby Car im Innenhof seine Patrouille-Runden dreht, hallt das Echo seines musischen Terror-Stabs in schrill-schrägen Tönen von den Innenhofwänden wider. Nicht nur das der Bruder des Nachwuchs-Gendarm als Gehilfe einsteigt, auch Bello von unten fühlt sich animiert und komplettiert den Terror mit abwechselndem Winseln und Jaulen. Meine Erholung ist dahin. Woher Nachbars Brut die Flöte hat? Keine Ahnung. Ich hoffe, von seiner Mutter geklaut, die ihm das Ding bald wieder abnimmt.
Ferien-Feeling – Klappe, die Zweite
Mein Wunsch wird, nach einer gefühlten Ewigkeit, erhört - Mami fordert ihr Instrument ein. Es ist Mittagszeit und der Mini-Polizist wird zu Nudeln mit Tomatensauce zitiert. Ahhhh, herrlich. Ich plane Phase zwei der Ferien-Erholung und bereite mir einen Mocktail zu. Für Alkohol scheint es mir noch zu früh, deshalb gibt’s vorerst nur Fruchtsaft mit Schirmchen. Ich platziere mein eingecremtes Gesicht erneut in Richtung Sonne - motiviert zu geniessen.
Es kehrt Ruhe ein und ich geniesse die Wärme im Gesicht während ich dem Amslerich lausche, der klangvoll eine Partnerin sucht. Idylle pur! Für nicht mehr als fünf Minuten. Darf denn das wahr sein? Im Haus gegenüber versucht sich eine korpulente Dame im Operngesang. Ich will sie nicht schlecht machen, auch ich habe in der letzten Zeit neue Hobbies ausprobiert – aber ehrlich, Opern-Schmetterei wäre mir nicht als erstes eingefallen. Ein offenes Fenster in meine Richtung und inbrünstiger Gesang - ich verzweifle. Ich wünschte, in meinem Glas wäre nicht bloss schnöder Multisaft, sondern auch etwas Wodka. Geist und Körper zu benebeln wäre jetzt die einzig richtige Gegenwehr, um diesem musikalischem Grauen zu entfliehen. Der Wunsch nach Hochprozentigem währt jedoch nur so lange, bis ich schwungvoll meine Lippen ans Glas setze. Der Schluck verfehlt meinen Mund und geht im wahrsten Sinne ins Auge. Ja, hat sich alles gegen mich verschworen? Ich gehe in die Wohnung, leicht säuerlich ob meiner eigenen Tollpatschigkeit und säubere das Malheur. Wieder auf dem Balkon, stelle ich erfreut fest, dass sich die Hobby-Montserrats Caballé ebenfalls eine Pause gönnt. Ich sinke erleichtert in den Liegestuhl.
Der Frieden währt kurz. Der Dreirad-Sheriff ist wieder auf Streife und sein Sirenen-Gedudel geht von neuem los. Was ist denn aus dem guten, alten Mittagsschlaf für Kinder geworden? Hoffnung macht sich bereit, als Mutti ihre Flöte einfordert. Was aber nur kurzfristigen Frieden in meinen Tag bringt. Besagte Mutter hat sich der Bespassung des Nachwuchs und somit des gesamten Quartiers verschrieben. Als Teil eines Trio Infernale, bespielt und bejodelt sie, begleitet von zwei anderen Eltern auf Gitarre und Keyboard, den Innenhof. Zur Begeisterung der Kinder, die lauthals singend im Kreis hüpfen. Mein Enthusiasmus hält sich in Grenzen und wenn ich nochmal mit „Kumbaya My Lord“ im Dreifaltigkeits-Kanon gequält werde, rufe ich den Katastrophen-Schutz.
Grande Finale
Es wird ruhig im Innenhof – früher als bei vorangegangenen Konzerten. Kommt mir verdächtig vor - ich wage einen Blick über das Geländer. Ich kann nicht viel erkennen, aber scheinbar kommt Papa von gelungener Jagd aus dem Baumarkt zurück. Gefeiert wie ein grosser Star steht er inmitten seiner eroberten Mitbringsel in Form von Blumen, Töpfen und Erde. Ob sein Kopf aufgrund der bewunderten Worte seiner Frau oder wegen eines Sonnenbrands wie eine Tomate leuchtet, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber es hätte sich sicher anerboten etwas Sonnenschutz zu verwenden, wenn er stundenlang in einer Schlange vor dem Baumarkt steht. Nun ja, mir kann’s egal sein - sein Jagd-Erfolg schlägt sich in meiner Ruhe nieder. Das Konzert ist abgesagt, da jetzt der Garten aufgehübscht wird.
Endlich entspannen? Denkste. Wäre zu schön gewesen. Kaum im Liegestuhl versunken, beginnt erneut der Dienst des Flöten-Polizei-Terroristen – seit Folterinstrument hat er dank verschobenem Musik-Event zurück. Das einzige Verbrechen, das ich sofort feststellen kann, ist das an meinen Ohren, als nahezu zeitgleich die Opern-Schnepfe ihre zweite Arie anstimmt. Und als wäre das nicht der Gipfel der Ferien-Sabotage, nutzt auch noch der Hauswart das unerwartet schöne Wetter, um den Rasen in Form zu trimmen.
Mir reicht‘s! Die Nachbarschaft scheint nicht bereit für meine Ferien. Ich verlasse den Balkon und schenke mir ein Glas Wein ein. Diesen Tropfen hätte Mutter Gesangslehrerin mal lieber in die Nudelsauce gemischt, denn dann würde der Sohnemann noch im Mittagsschlaf weilen. Egal, ich mach’s mir auf meinem Sofa bequem, auf dem ich kurze Zeit später einschlafe und träume - von scharfen Cocktails am Strand in Sansibar.
(c) Beitragsbild │ Sonja Schöberl
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