Ich beisse in dunkles, knuspriges Bauernbrot. Vor einer halben Stunde noch im Ofen, schmiegt sich nun der saftige Innenteil warm an meine Zunge. Sogleich schiebe ich eine Scheibe saftigen Schinken gefüllt mir Apfel-Kren* nach. Mir schiessen Tränen in die Augen, als sich die Schärfe über meine Nasenflügel ausbreitet. Ich bin glücklich.
Wann hast du dir das letzte Mal etwas voller Vorfreude, aber auch mit banger Nervosität ersehnt? Wird es genauso sein, wie ich es mir erträume? Wann wird es passieren? Wird es meine Erwartungen erfüllen?
An Ostern wird geschlemmt
Ich habe bis heute Vormittag auf etwas ganz Bestimmtes sehnsüchtig gewartet - du wirst es banal finden, für mich war es ein Bauch-Wunsch. Hierzu musst du vielleicht wissen, ich bin geborene Steirerin. In der schönen, grünen Steiermark, im Süden Österreichs, wird dem Genuss enorme Bedeutung zugeschrieben - sowohl gross als Lebensinhalt wie auch in der Menge. Obwohl ich seit fast 20 Jahren in der Schweiz lebe, geht dieses Genuss-Empfinden nicht aus meinen Genen. Ich schmause leidenschaftlich gerne und gut. Mit ein Grund, weshalb wir in regelmässigen Abständen Leckereien aus der grünen Mark in die Schweiz «schmuggeln». Ein Salat mit Kürbiskernöl schmeckt gleich viel intensiver nach Heimat. Die geräucherte Extrawurst mit süss-sauren Essiggurken auf richtigen Kaiser-Semmeln (nein, Semmeln sind keine Mutschli) lässt meinen Gaumen springen. Und ein Salat ohne Käferbohnen? Davon möchte ich gar nicht sprechen.
Ostern in Gefahr
Dieses Lebens-Essens-Gefühl behalten wir auch an Ostern bei. Kein Jahr ist seit unserem Umzug vergangen, an dem wir nicht eine traditionelle Osterjause mit originalem Weihfleisch, geriebenen Kren und «richtigem» Schwarzbrot zelebriert haben. Lecker, mir läuft das Wasser im Mund zusammen!
Dieses Jahr ist anders: unser Heimat-Besuch inklusive kulinarische Mitbringsel war nicht möglich. Die Grenzen sind zu und somit der Gang in die steirische Speisekammer der Köstlichkeiten verwehrt. Wir sind enttäuscht - sogar leicht verzweifelt. Wie können wir das Osterfest noch retten?
Österreich-Feeling per Post
Per Zufall findet meine Schwester einen Schweizer Online-Shop, der Rettung verspricht: «Österreichische Spezialitäten für Ihre Osterjause» steht gross auf der Homepage. Nervös klicken wir uns durch die Shop-Auswahl. Die Augen werden mit jeder gewählten Seite grösser, ebenso der Inhalt des Warenkorbs. Wir können unser Glück kaum fassen: stehen uns doch noch fröhliche Ostern bevor?
Wieder sind wir bei der Erwartung. Als wir vor zwei Wochen bestellten, war dies auf den «letzten Drücker». Eine Lieferung vor Ostern kann nicht garantiert werden. «Wir werden aber alles daran setzen», versichert uns die nette Mitarbeiterin. Wir warten und hoffen, Tag für Tag. Ich träume sogar schon von unserem Ostertisch - werde ich verrückt? Bildlich sehe ich uns schon um die festlich dekorierte Dreh-Rondelle mit aufgeschichtetem Fleisch und Würsten, Eiern, Kren, Pfefferoni** und Senfgurken sitzen. Ich sabbere, im Schlaf.
Tag X ist da: es ist Gründonnerstag und heute soll die Lieferung kommen. Bereits am Vortag die erlösende Nachricht im Email: «Ihre Lieferung wurde der Post übergeben. Voraussichtliche Zustellzeit zwischen acht und zwölf». Meine Güte, ich kann kaum verbergen, wie aufgeregt ich bin und sitze am Donnerstag vier Stunden voller Spannung in den Startlöchern. Um dann.... enttäuscht zu werden. Das Paket ist nicht gekommen, mein Genuss-Traum zerschellt tief in meiner Magengrube. Aus, dahin, das wird nichts mehr...
Die Erlösung in Form von Osterkrainern
Heute ist Samstag - Ostersamstag. Und wir sitzen seit zwei Stunden auf dem Balkon und beobachten unsere Strasse. Paranoia vielleicht. Nervosität, ganz sicher: bei jedem gelben Lieferwagen zucken wir zusammen, auch wenn es nur der Rohrmax auf seinem Weg zu einem verstopften Kanal ist. Uns wurde erneut angekündigt, dass das ersehnte Fress-Paket zugestellt wird. Heute muss es klappen - wir betten, hoffen und visualisieren, als plötzlich der Erlöser klingelt. Kann es sein? Ja es muss - es IST!
Wir schälen unser duftendes, saftiges Osternest aus den Papier-Ummantelungen. Was erwartet uns? Gespeilte Osterkrainer, geselchtes Fleisch, Verhackerts***, Oster-Schinken und zur Nachspeise Dragee Keksi und Rumkugeln. Ein Fest für die Augen und bald auch für unseren Leib.
Ich bin dann mal weg. Auf mich wartet die genussvolle Erlösung in Form von Osterfleisch und frisch gebackenem Brot. Ich würde dich einladen, aber du weisst: Social Distancing. Vielleicht nächstes Jahr!
Ich wünsche dir und deiner Familie ein genussvolles Osterfest!
Geniesse das Leben und bleib gesund.
*Kren: österr. für (geriebenen) Meerrettich
**Pfefferoni: Peperoni, ähnliche Form wie Chili
***Verhackerts: Brotaufstrich aus geräuchertem, kleingehacktem Speck
(c) Beitragsbild │ Sonja Schöberl
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Isabella (Samstag, 11 April 2020)
Nächstes Jahr bin ich wieder dabei - ganz sicher! Ohne geht ja gar nicht!!!